State of the Art – Solaris 55

State of the Art – Solaris 55
11 Sep
2:29

Die Solaris-Yachten waren an der letzten BOOT-Messe der absolute Hingucker: vier dunkelblaue Modelle von 47 bis 58 Fuss ruhten auf einem blauen Meer aus farbigen Glasstücken. Nach dieser Showtime segelten wir die brandneue 55er ein paar Monate später im Traumrevier vor Porto Rotondo. The show goes on!

Nun  stehe ich am filigranen Carbonsteuerrad und rausche aus der Bucht. Nach der Landabdeckung durch die Inseln legt der Wind auf 15 Knoten zu. Die Segel stehen wie Messerschneiden knalldicht am Carbonmast, wir wollen dem nachfolgenden Fotoboot eine extreme Schräglage präsentieren. Trotzdem sind die Gäste an Bord in entspannte Gespräche vertieft, alles ganz easy. Die Solaris läuft wie auf Schienen, das Doppelruder macht einen perfekten Job. Im Hafen habe ich mich noch über den extremen Winkel gewundert, mit dem die GfK-Blätter mit Niroschaft vom achterlich sehr breiten Rumpf abstanden. Jetzt ist aber alles klar: selbst bei diesem Krängungswinkel legt sich die Schönheit elegant auf die Chines und das eingetauchte Lee-Ruder sorgt auch weiterhin für perfekte Steuerkontrolle. In Zahlen ausgedrücktes Hochgefühl: 13.6 Knoten Wind, 9.6 Knoten Bootsspeed. Und das hart am Wind. Jetzt Gross auffieren, etwas abfallen – das sind die Momente, wo auch bei Skeptikern der Begeisterungsfunke überspingt. Ich schaue über das Deck mit dem betont flachen Aufbau und blicke in rundum zufriedene Gesichter.

Gewendet wird im Handumdrehen, die Schoten laufen wie die Fallen und Reffleinen unter Deck ins Cockpit und werden in Textiltaschen gesammelt. Das Segelhandling wird über je zwei Winschen auf dem breiten Süllbord abgewickelt, die Grossschot läuft über einen Block am Cockpit-boden zum Mast und von dort auf beiden Seiten zurück auf die entsprechende Winsch. Wer lieber einen konventionellen Traveller bevorzugt: no problem, für Kundenwünsche hat man bei Solaris immer ein offenes Ohr.

Die serienmässige Selbstwendefock macht mit ihren 106-Prozent das Seglerleben bei den Manövern leicht. Eine elektrische Winsch erleichtert das Handling bis in die Komfortzone. Glücklich ist, wer diese Yacht besitzt. An Bord ist der erwachsene Sohn der Eignerfamilie, der mir beim entspannten Halbwindsegeln die Gründe für die Wahl der Solaris erklärt. Da in Italien die Segelei hauptsächlich Männersache ist, haben sich Vater und Sohn nach verschiedenen Segelyachten, die jeweils von Kauf zu Kauf immer grösser wurden, für die 55er entschieden. Zu zweit lässt sich die Solaris bequem segeln und trotzdem lässt sich ihr Potential  voll entfalten. Regatten wolle man keine gewinnen, aber schnell und komfortabel unterwegs sein, das ja. Als reife und erfahrene Segler wussten sie genau, was sie wollten und in Solaris fand man eine Werft, wo die Serienyacht schon fast wie eine Customyacht daherkommt. Der stilbewusste Junior verliebte sich auf Anhieb in die markanten Linien von Architekt Javier Soto Acebal und musste seinen Vater nicht lange überzeugen. Der Sinn für Schönheit und Eleganz liegt in der Familie…

Aussen hui, innen wow

Das gesamte Yachtkonzept ist aufs Wesentliche reduziert, nicht nur für Barfussegler wie mich wurden alle Stolperfallen und Kanten wo immer möglich eliminiert. Die 55 segelt sich herrlich steif und verwindungslos, die Bauqualität der Werft in Aquileia ist ohne Fehl und Tadel. Die Dame des Schiffes (also die Mutter des Eignersohnes) findet das Flushdeck-Konzept perfekt, so stört nichts beim Sonnenbaden. Lobende Worte auch für das Wohnfeeling unter Deck. Das Ambiente hat das gewisse Etwas, der aufgeräumte Look wirkt reduziert, aber niemals kalt. Das werftinterne Designerteam beherrscht seinen Job und verfügt über ein glückliches Händchen in der Linienführung. Aber auch die Boots- und Innenausbauer verstehen ihr Handwerk, Qualität ist auch dort spürbar, wo sie nicht direkt sichtbar ist. Die 55er ist so solid wie jede Solaris, trotzdem wird wo immer möglich Gewicht gespart oder optimiert. Mit einem Airex-Schaumkern wird die Sandwichbauweise clever zum Abspecken bei Schotten und Kabinentüren eingesetzt. Selbst die Schrank- und Schapptüren tragen so ihren Teil zum Leichtgewicht bei. Wo das Gewicht hin muss, ist es auch gut platziert: die fast drei Meter lange Kielfinne trägt den 6.5 Tonnen schweren Ballastanteil in Form einer schlanken Kielbombe.

Das eher traditionelle Layout mit einer U-förmigen Pantry, Navi-Ecke, Sofa und ­Salonteil mit Esstisch ist auf Wunsch der Eignerfamilie in Burma-Teak – standardmässig wird die Solaris 55 mit hellem ­Eichenmobiliar ausgeliefert. Die Achter­- ­kabinen sind dank des breiten Hecks echte Raumwunder und stehen kaum hinter der Eignerkabine mit ihrem Inselbett zurück – einzig die langezogenen Rumpffenster fehlen ein wenig. Drei Doppelkabinen, drei Nasszellen – fast schon eine demokratische Erfolgs-Formel. Wer verständlicherweise am liebsten gar nicht mehr in einen Hafen einlaufen möchte, sondern lieber das Bordleben vor Anker in einer Bucht geniessen möchte, bekommt mir der Solaris auch genügend Stauraum – und das nicht nur in der Kombüse. Solaris sind für Segler gebaut, das ist kein leeres Versprechen oder Werbeslogan, sondern das manifestiert sich an handfesten, praktischen Lösungen wie genügend und intelligent eingesetzte Volumen und Ablageflächen, um all das unterzukriegen, was man fürs Blauwassersegeln so braucht. Eine zusätzliche Kabine (oder dann noch mehr Stauraum, z.B. für die Fender) für zusätzliche Working Crew ist vom
Vordeck aus zugänglich und kann auf Wunsch ausgebaut werden. Raum in einer Dinghy-Garage findet das Beiboot, wenn es quer zur Schiffsachse verstaut wird. Dinghy-Garage auf 55 Fuss? Ja, richtig gelesen, nicht nur die grössere 58er Schwester verfügt über diesen Vorteil, auch hier fand das Dinghi seinen geschützen Platz, ohne dass in den Achterkabinen allzuviel Volumen abgezwackt werden musste.

Der Ankerarm reicht weit über den Bug hinaus, der fast gerade Steven erfodert respektvollen Abstand. Die Arbeitswinsch auf dem Vordeck wird nach Gebrauch bündig zum Deck abgesenkt. Versenkt und versteckt ist auch die Sprayhood, die im teakgedeckten Rahmen rund um den Nieder gang ruht. Schön, dass auch das Kajütdach mit dem Edelholz belegt ist.

Nach einem erhebenden Segelnachmittag geht das durchgelattete Gross von Millenium Sails dank den Lazyjacks problemlos in Ruheposition auf den Baum von Spars. Wir motoren zurück zur Marina von Porto Rotondo, die Maschine (ein Volvo Penta D3 mit 110PS) ist gut isoliert und an Deck fast nicht hörbar. Beim rückwärts Anlegen sind die Doppelruder wenig effizient. Da hilft am ehesten von weit her Anlauf nehmen oder der Einsatz eines Bugstrahlruders.

 

Solaris – mehr als eine Yacht

Bewährt und jedes Jahr noch einen Tick besser: das Get-together der Solaristi weckt Porto Rotondo entgültig aus dem Winterschlaf. Dieses Jahr fanden mehr als 30 Eigneryachten den Weg an die Costa Smeralda. Unsere getestete Solaris 55 war schnurstracks aus der Werft rund um den italienischen Stiefel angesegelt. Für interessierte zukünftige Eigner ist der einwöchige Anlass die ideale Gelegenheit, verschiedene Grössen auf Herz und Nieren zu testen. Was am Messestand noch recht ähnlich aussah, zeigt hier ein eigenes, individuelles Gesicht. Auch der Unterschied der auf den ersten Blick ähnlichen Solaris 58 und 55 scheint auf dem Papier wenig bedeutsam, aber vor Ort zeigte sich, dass die neue 55 ein ganz eigenes Profil hat und nicht einfach eine Line Extension nach unten darstellt. Im Gegenteil, so ausgeprägt und profiliert wie die Neue daherkam, hat sie sich gleich einen festen und eigenständigen Platz in der Modellreihe erobert.

Diese grossen und kleinen Gemeinsamkeiten und Unterschiede wurde ausführlich diskutiert. Fachsimpeln und Erfahrungsaustausch machen einen weiteren Aspekt des alljährlichen Soalris-Meetings aus. Vor- und Nachteile von Doppel- zu Single-Ruder, Bugstrahlruder, Langstreckensegeln, Segelhersteller – hier kamen handfeste Themen auf den Tisch, die graue Theorie blieb bei den abendlichen Apéros und Grillparties auf der Strecke.

Als Höhepunkt der Smeralda-Woche wurde der Solaris Cup ausgesegelt. Unter der Regattaleitung des Yacht Clubs Porto Rotondo zeigten die Solaris, dass nicht nur Klasse, sondern auch Rasse in ihnen steckt. Sail hard, party hard – das Motto galt auch für die Solaristi. Tagsüber war auf der Regattabahn hartes, aber faires Kräftemessen angesagt, abends dann wurde wieder gemeinsam auf der edlen Clubterrasse gefeiert und die Sieger prämiert. Ich wette, dass nächstes Jahr noch mehr Solaristi Kurs auf Porto Rotondo nehmen werden.

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